Wie kann man hitzegerecht bauen?

Die Menschen in der Stadt leiden unter zunehmender Hitze. Durch den Klimawandel steigt die Zahl der Hitzetage und Hitzeperioden, ebenso die der Tropennächte. Versiegelung, Hitzeinseln und zu wenige Grünflächen verschlimmern die Situation. Alexander Sieh, Bauphysiker und Experte für klimaangepasstes Bauen am Department Bauen und Gestalten der Hochschule Campus Wien erklärt im Interview, warum man zurück zu den Wurzeln muss und Dachgeschossausbauten und Bürotürme aus Glas passé sind.


Die Menschen leiden unter der zunehmenden Hitze in der Stadt. Viele Gebäude heizen sich stark auf, es gibt kaum Abkühlung. Was kann man hier machen?

Alexander Sieh: Das erste Ziel wäre natürlich, die Klimaerwärmung zu bremsen. Aber wir sehen leider, dass trotz guter Vorsätze sowohl Durchschnitts- als auch Maximaltemperaturen weiter ansteigen. Es hat jetzt 35 Grad in Wien. Das wird in den nächsten 30, 40 Jahren noch schlimmer werden. Dann werden wir 40 Grad an mehreren Tagen hintereinander haben. Diese Hitzespirale schraubt sich immer weiter nach oben. Und deshalb ist der zweite Schritt, unser Plan B, die Klimaanpassung. Wie können wir regional versuchen, die Auswirkungen zu lindern und zu kompensieren. Wie können wir also Gebäude und ihre Umgebung gestalten, damit sie nicht überhitzen und uns Menschen weiter schützen.

In Neubauten, vor allem in Dachgeschossausbauten, ist es im Sommer unerträglich heiß. Wenn man hingegen einen Altbau, der 150 Jahre alt ist, über einen grünen Innenhof betritt, ist es angenehm kühl im Gebäude.  Hat man früher besser gebaut? Muss man zurück zu den Wurzeln gehen? 

Ja, auf jeden Fall. Das sind zwei gute Extrembeispiele. Dachbodenausbauten und auch Bürotürme haben oft großzügige Glasflächen, wenig Masse in den Bauteilen und befinden sich in dicht bebauten Stadtkernen. Besonders über die großen Glasflächen kommt viel Sonnenenergie in die Räume. Dadurch erhitzt sich der Innenraum am Tag. 

Aber nicht nur die Dachwohnungen heizen sich tagsüber auf, auch die gesamte Masse der Stadt. Die Stadt wird zur Heat Island oder Hitzeinsel. Sie ist so heiß, dass sie auch in der Nacht kaum noch abkühlt. Teilweise sind in der Nacht die Temperaturen in Städten um 6°C höher als im wenig bebauten Umland. Die heißen Dachwohnungen können nicht mehr abkühlen und brauchen Klimaanlagen. Die heizen die Stadt außen aber noch mehr auf und die Hitzespirale dreht sich weiter. 
Die teuren Dachgeschossausbauten und gläsernen Bürotürme sind oft aufgrund ihrer großen Glasflächen und geringen Speichermasse energetisch ineffizient und funktionieren im Sommer nur mit Klimaanlage, also mit großem Energieeinsatz.

Was ist am klassischen Altbau besser? 

Der Altbau hat kleinere Fenster und massive Wände. Die begrünten Innenhöfe kühlen durch Wasserverdunstung die Luft ab und schaffen so auch in der Stadt niedrigere Außentemperaturen. Meistens haben Altbauwohnungen Fensteröffnungen an zwei Fassadenseiten. So kann man die Bausubstanz durch Querlüften in der Nacht abkühlen. 

Welche Rolle spielen Begrünung und Wasser in der Stadt?

Eine ganz große. Man muss es schaffen, genügend Grün und Wasser in die Städte zu bringen. Durch die Verdunstungskälte, eigentlich Verdunstungsenthalpie, kann ein Baum seiner Umgebung genau so viel Hitze entziehen wie eine übliche Klimaanlage, ganz ohne Strom. Durch zusätzliche Begrünung und Entsiegelung der Stadt - Gründächer, Parks und Bäume - bringe ich Schatten und frische Luft in die Städte. 
Wir haben hier viele Beispiele, etwa aus Paris, Barcelona und London, wie man es schafft, einen heißen, zubetonierten Platz mit Bäumen und Wasseranlagen umzugestalten und rückzubauen und so kühl und zum attraktiven Treffpunkt für Menschen zu machen.  
Auch vertikale Begrünung leistet eine Menge. An der Hochschule Campus Wien haben wir eine Fassade vertikal begrünt und dann Messungen durchgeführt. Diese Fassade ist um 15 Grad kühler als die gegenüberliegende schwarze Glasfassade.

Welche Rolle spielen Wind bzw. Durchlüftung für das Klima in der Stadt?

Wien ist gut durchlüftet – aus dem Wienerwald und entlang des Donautals kommt frische Luft in die Innenbezirke. Bei der Stadtplanung muss man darauf achten, dass die Windschneisen nicht verbaut werden. Denn durch intelligente Raumplanung ermöglicht man die Durchlüftung der Stadtkerne und koppelt die Stadt besser an die umliegenden Wälder und Flüsse an.

Was trägt zusätzlich zur Hitze in der Stadt bei?

Was viele vergessen bzw. nicht berücksichtigen: Nicht nur die Sonne, sondern auch wir Menschen heizen im Sommer Städte noch zusätzlich durch Klimaanlagen und Verbrennungsmotoren auf. 
Jedes Auto mit Verbrennungsmotor gibt 70% der Energie als Wärme an die Umgebung ab. Elektromotoren im Vergleich dazu nur 10%. Damit ist jedes Auto mit Verbrennungsmotor im Verkehr energetisch wie ein Kachelofen auf Rädern und erhitzt die Städte von innen. Nur als Größenordnung, es braucht 15 große Stadtbäume, um diese Hitze unmittelbar zu kompensieren. 
Wir sehen also, dass auch der Verkehr in der klimaangepassten Stadt eine wichtige Rolle spielen wird. 

Sie haben in Wien selbst Hitzemessungen durchgeführt, was haben Sie festgestellt?

Das war für mich ein anschauliches Experiment. Ich bin mit meinem E-Roller am Abend von unserer Hochschule im 10. Bezirk durch Wien in den Wienerwald gefahren. In der Stadt hatte es durchwegs 30°C. Als ich dann im 14. Bezirk in eine Gasse mit Bäumen, einem kleinen Bach und kaum Verkehr einbog, sank die Temperatur schlagartig auf 26°C. Für mich ein schönes Beispiel über die Wirkung und die Möglichkeiten von grüner und blauer Infrastruktur in der Stadt.

Welchen Beitrag leisten Sie in der Lehre, um unsere Studierenden auf die Herausforderungen der Zukunft im Bauwesen und in der Architektur vorzubereiten?

Ich versuche in meinen Vorlesungen, die Studierenden zu sensibilisieren. Einerseits zeige ich ihnen, mit welchen Maßnahmen wir im Bauwesen dazu beitragen können, Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Immerhin ist der Bau- und Gebäudesektor für 36% der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Andererseits erarbeite ich mit ihnen Strategien, um klimafitte Gebäude für morgen zu planen. Ich motiviere die Studierenden, neue Konzepte für Gebäude, Energie und Stadtentwicklung zu entwerfen. Ich bin überzeugt, dass unser Department einen wichtigen Beitrag für klimaangepasstes Bauen leisten kann. Denn wir bilden die Bauingenieur*innen und Architekt*innen von morgen aus. Sie werden die Gebäude für morgen planen und bauen. 

„Teure Dachgeschossausbauten und gläserne Bürotürme sind energetisch ineffizient und funktionieren im Sommer nur mit Klimaanlage.“
Porträt Alexander Sieh

Alexander Sieh

Dipl. Ing. Alexander Sieh - Bauphysiker, Lehrender und Forschender, Department Bauen und Gestalten, Bauingenieurwesen -Baumanagement, Architektur – Green Building